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Antrittsrede Landrat Womelsdorf

Rede des Landrates Jens Womelsdorf anlässlich der Amtseinführung als Landrat am 1. Juli 2022


– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Kreistagsvorsitzender,
meine sehr geehrten Mitglieder des Kreistages und des Kreisausschusses,
liebe Mitarbeitende der Kreisverwaltung,
sehr geehrte Gäste,

ich freue mich sehr, meine Amtszeit heute hier im Kreistag, mit der gemeinsamen Arbeit mit Ihnen, beginnen zu dürfen.

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Nach den wenigen Wochen der Vorbereitung auf mein neues Amt hat sich ein Eindruck bestätigt, den ich bereits in der externen Beobachtung der letzten Jahre gewonnen hatte: Der Landkreis Marburg-Biedenkopf ist grundsätzlich gut aufgestellt und verfügt über eine sehr leistungsfähige und engagierte Kreisverwaltung. Und doch liegt einiges an Arbeit vor uns.

Es gilt nicht weniger, als Antworten zu finden auf die großen, brennenden Fragen unserer Zeit. Wir haben mit den Folgen der Klimakrise auch für unsere Region umzugehen. Und wir müssen die Frage einer sicheren Energieversorgung auch bei uns im Landkreis beantworten.

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Hierzu brauchen wir Antworten, die für uns hier in Marburg-Biedenkopf funktionieren. Die den Menschen zwischen Angelburg­-Gönnern und Neustadt-Speckswinkel, zwischen Münchhausen und Lohra, in allen 22 Städten und Gemeinden von Nutzen sind.

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Meine sehr geehrten Damen und Herren,

dem Philosophen Karl Popper wird folgendes Zitat zugeschrieben: „Die Zukunft ist weit offen. Sie hängt von uns ab. Von uns allen.“ Denn die Zukunft ist eben gestaltbar, sie steht nicht schicksalhaft vor uns, sie wird nicht nur auf Schloss Elmau gemacht, sondern wir können und müssen auch vor Ort unseren Beitrag leisten. Und das ist es, was mich politisch antreibt: dass auch die regionalen Entscheidungen, die lokalen Projekte, Einfluss nehmen können auf so große Fragen wie die der menschengemachten Klimakrise.

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Und genau diese Zukunft möchte ich gemeinsam mit Ihnen in den nächsten Jahren aktiv gestalten.

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Was die Veränderung des Klimas angeht, gilt es das Klimafolgenmanagement auszubauen, welches uns, unsere Kommunen, unsere Landwirt*innen und Unternehmen dabei unterstützt, mit dem umzugehen, was uns durch die Klimakrise auch in Zukunft noch erwartet.

Und zugleich muss unser Klimaschutz-Aktionsprogramm weiter konsequent umgesetzt, aber auch um weitere, sozial verträgliche Aspekte ergänzt werden. Deshalb werde ich – ganz meinem Versprechen es zur Chefsache zu machen – die Kreisverwaltung parallel zu den aktuellen Programmen und Prozessen beauftragen, zeitnah ein drittes Klimaschutz-Aktions-Programm vorzubereiten, in das auch ich eigene Akzente einbringen werde. Wir werden und wir müssen unsere Arbeit konsequent an den Anforderungen des Klimaschutzes ausrichten, und deshalb bereits in der Phase der Abwicklung der aktuellen Projekte und Aufträge neue und ambitioniertere Maßnahmen auf den Weg bringen.

Gemeinsam mit den Kommunen müssen wir die Zusammenarbeit im Klimaschutz intensivieren, voneinander lernen und unsere Bemühungen mit dem Fokus auf konkrete Klimaschutzprojekte miteinander abstimmen. Ich will dafür Sorge tragen, dass wir auch messbare Ergebnisse liefern. Zur Messbarkeit gehört auch die Messbarkeit in der Verwaltung mit einem Klima-Haushalt, der ausweist, welche Auswirkungen auf das Klima die Ausgaben und Aktivitäten der Kreisverwaltung haben. Dieses Instrument will ich erproben.

Wobei der Begriff "Klimaschutz" ungenau ist. Wir müssen begreifen, dass es bei alledem eben nicht allein um den Schutz des Klimas, sondern um den Schutz unserer gesamten Lebensgrundlagen geht. Dass muss unsere Richtschnur sein und bedeutet aktives Gestalten der Zukunft vor allem für kommende Generationen.

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Zugleich müssen wir aber auch die Expertise der Zivilgesellschaft und der Bürgerinnen und Bürger noch viel mehr mit einbeziehen, gerade um die Akzeptanz und Effizienz von Maßnahmen zu erhöhen. Gemeinsam mit dem Fachdienst Bürgerbeteiligung und Ehrenamtsförderung möchte ich prüfen, inwiefern wir einen Bürgerrat spezifisch für das zentrale Thema Klimaschutz einbinden können, der die Klimaschutzaktivitäten in und mit der Zivilgesellschaft entwickeln und voranbringen kann.

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Damit ist auch das Thema der Stabilisierung, Verteidigung und Weiterentwicklung unserer repräsentativen Demokratie angesprochen worden. Insgesamt hat mich die niedrige Wahlbeteiligung bei der Landratswahl sehr beschäftigt und wir müssen noch vielmehr darüber nachdenken, wie wir in Zukunft den Mix aus repräsentativen und direkt-demokratischen Elementen so gestalten, dass wir insgesamt unser demokratisches System stärken. All diejenigen die sich tagtäglich für unsere Demokratie einsetzen, haben es verdient, dass die Wahrnehmung von Kommunalpolitik gestärkt wird.

Auch hier möchte ich den Gedanken Poppers aufgreifen, denn für die Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft brauchen wir eine lokal verankerte kommunale Demokratie. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nur so unsere gemeinsamen Ziele stemmen können.

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Bereits angesprochen habe ich das Thema Versorgungskrise. Die Frage einer sicheren, zukunftsfähigen und nachhaltigen Energieversorgung stellte sich bereits in Zusammenhang mit der Klimakrise. Der Angriffskrieg auf die Ukraine verschärft diese Herausforderung. Aus einer anderen Perspektive. Klarer wird dabei nichts außer der Notwendigkeit zum Handeln.

Dazu gehört für uns in Marburg-Biedenkopf, selbstverständlich die weitere energetische Sanierung unserer Schulen und sonstigen Kreisliegenschaften, und ebenso der weitere Ausbau der Photovoltaik, der Wärmenetze mit regenerativer Energie und mehr Unterstützung von Energiegenossenschaften sowie die deutliche Steigerung von deren Anzahl im Landkreis.

Wir werden mit alledem sicher nicht von hier aus die Welt retten. Aber vielleicht gelingt es uns mit alledem von hier aus Impulse zu setzen, und einen eigenen relevanten Beitrag zu leisten.

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Und wir haben in der Ukrainekrise zwar festgestellt, dass es einige ungenutzte Potenziale gibt, was Wohnraum angeht. Aber Wohnen ist weiterhin die soziale Frage unserer Zeit. Mein Ziel ist nicht nur die Stärkung unserer Beteiligungen und die Aufstockung von Wohnraumförderung gerade was barrierefreien und sozialen Wohnraum angeht. Vielmehr noch müssen wir die Potenziale der energetischen Sanierung von Wohnraum als Element des sozialen Klimaschutzes nutzen, um hier einen weiteren Beitrag zu leisten.

Dazu gehört aber auch die Stärkung der ländlichen Region: Neben dem Breitbandausbau ist dies vor allem die Sicherstellung der medizinischen Versorgung in der Fläche, wozu eben auch unsere örtlichen Krankenhäuser gehören. Ich sage dies mit großer Sorge um die Versorgungssicherheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger und um die Situation der Mitarbeiter*innen am UKGM.

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Unmittelbar mit den Themen Klima und Energie und ländlicher Raum verbunden ist auch die Art, wie wir uns durch den Landkreis bewegen.

Wir müssen die Verbindungen mit Bussen, Bahnen und Fahrrädern zwischen den Städten sowie Gemeinden und Marburg weiter verbessern. Und ebenso auch für Autos. Ich stehe für eine ganzheitliche Mobilität und ich werde weiter daran arbeiten, dass wir den Anteil des Radverkehrs am gesamten Verkehr bis 2030 auf 8 Prozent erhöhen und auch die im Koalitionsvertrag von SPD und CDU enthaltene Festlegung einhalten: 35 Prozent der Ausgaben für Verkehrsinfrastruktur für den Radverkehr einzusetzen.

Die Zukunft ist die stärkere Vernetzung der Verkehrsträger. Darüber hinaus darf Mobilität nicht vom Einkommen abhängig sein. Deswegen müssen wir dafür Sorge tragen, dass Mobilität bezahlbar bleibt.

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Und auch der Umgang mit dem Corona-Virus auf unserer kommunalen Ebene wird uns weiter beschäftigen. Dabei beziehe ich mich vor allem auf die Herausforderungen, die das Ehrenamt in den mehr als zwei Jahren seit dem Beginn der Pandemie erleiden musste. Ich komme aus dem Ehrenamt und werde den Landkreis in seinem Bestreben, starker Partner des Ehrenamtes zu sein, weiterentwickeln.

Dazu gehört ein einzurichtender Fonds für innovative Konzepte der Vereinsarbeit, wie auch die Weiterentwicklung der Unterstützung des Ehrenamtes, zum Beispiel bei der Unterstützung der Digitalisierung von Vereinsarbeit oder hybrider Sitzungsstrukturen.

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Und all das muss auch zukünftig bezahlbar sein. Es gilt klug zu investieren und zugleich genau hinzusehen, wo es sich lohnt zu sparen. Mit dem heutigen Tag befinde ich mich direkt auch in der Verantwortung für den anstehenden Haushalt. Dieser muss den Landkreis nachhaltig weiterentwickeln.

Der Landkreis hat die vorrangige Aufgabe für gleichwertige Lebensverhältnisse Sorge zu tragen. Dies müsste bedeuten, dass der Geldsegen der Stadt Marburg auch den Landkreis stärkt. Leider ist der Effekt durch den Konstruktionsfehler des kommunalen Finanzausgleiches genau umgekehrt. Gerade deswegen müssen wir mit dem Haushalt 2023 Prioritäten setzen und zum Beispiel versuchen, mit dem vorhandenen Personal die Aufgaben der Zukunft zu stemmen.

Unabhängig davon werde ich mit aller Kraft darauf drängen, dass sich die hessische Landesregierung bewegt und den kommunalen Finanzausgleich endlich auskömmlich gestaltet und zwar für den Landkreis und die Kommunen.

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Meine sehr geehrte Damen und Herren,

es ist komplex. Und es ist nicht wenig, was an Herausforderungen vor uns liegt.

Die Entscheidungen, die für eine gute Zukunft im Landkreis Marburg-Biedenkopf zu treffen sind, sind zahlreich und einige werden sicher nicht einfach zu treffen sein.

Entscheidend wichtig wird dabei sein, dass sie aus den richtigen Gründen getroffen werden.

Und diese Gründe müssen dann auch erklärt werden. Ganz im Zeichen einer offenen Verwaltung und einer offenen Kreispolitik. Und auch um damit das Verständnis für unser demokratisches System und damit für unsere Demokratie insgesamt zu fördern. Grundlegende Transparenz von Verwaltungshandeln – Open Government ist für mich zentraler Charakter einer modernen bürgernahen Verwaltung und wird auch in Zukunft mein und unser Handeln prägen.

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Und wir müssen gute Bedingungen schaffen für diejenigen, die diese Aufgaben für die Kreisverwaltung wahrnehmen, vorbereiten und umsetzen: Die Mitarbeitenden.

Ich möchte erreichen, dass sich in den Köpfen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Landkreis Marburg-Biedenkopf und darüber hinaus festsetzt, dass die Kreisverwaltung nicht nur ein attraktiver Arbeitgeber ist, sondern dass es sich lohnt, Teil eines Teams zu sein, das innovativ und engagiert am Gemeinwohl orientiert arbeitet. Ich möchte erreichen, dass der Landkreis aktiver als bisher um die besten Köpfe kämpft und durch gute Arbeitsbedingungen und sinnstiftende Arbeit diesen Kampf auch gewinnt.

Ich möchte erreichen, dass auch weiterhin und verstärkt der Landkreis für Innovation, Digitalisierung, soziale und klimapolitische Verantwortung sowie Nachhaltigkeit in der ganzen Breite ihrer Definition steht.

Ich möchte erreichen, dass die Bürgerinnen und Bürger des Landkreises aus voller Überzeugung engagierte Botschafter*innen ihrer Heimat sein können, weil wir hier gemeinsam vieles erreichen und voranbringen.

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Generell müssen wir uns mit dem Blick auf die Herausforderungen parlamentarischer Arbeit auch noch intensiver mit der Frage beschäftigen, wie wir Politik familienfreundlicher gestalten können. Ich habe dies selbst feststellen müssen und leider auch bei einigen Hoffnungsträgern und -trägerinnen in der Kommunalpolitik, erlebt. Hier müssen wir in den nächsten Jahren Antworten finden, auch mit Blick auf den Nachwuchs in unseren Parlamenten und aus welchen Lebenswirklichkeiten sich dieser rekrutiert.

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Meine sehr verehrten Damen und Herren,

„Die Zukunft ist weit offen. Sie hängt von uns ab. Von uns allen.“

Ich werde von heute an meinen Beitrag als Landrat leisten. Gemeinsam mit Ihnen, dem Kreistag, den Bürgerinnen und Bürgern. Ich will mit ihnen offen den Austausch suchen, mit ihnen diskutieren, ihre Ideen aufnehmen, Konzepte entwickeln aber eben auch umsetzen.

Zu guter Politik gehört für mich auch das Erzielen und Erklären von Kompromissen. Denn wir werden nicht immer im Konsens auseinander gehen. Und dann wird man sich in die Augen schauen und erklären können müssen, warum - wie oft im politischen Diskurs - eben nicht das Maximum für alle erreicht werden konnte. Aber die Gestaltung der Zukunft wird nur möglich sein, wenn wir auch Kompromisse akzeptieren als Teil des politischen Prozesses, und nicht unsere Gesellschaft spalten.

Als jemand, der die letzten 15 Jahre an Schnittstellen von Hauptamtlichkeit und bürgerschaftlichem Engagement tätig war, habe ich vielfältig die Vorteile von Teamarbeit erfahren. Nicht zuletzt aufgrund dieser Erfahrungen bin ich ein überzeugter Teamplayer mit der ausgeprägten Fähigkeit zum Kompromiss. Aber: Als direkt gewählter Landrat, als Chef einer Verwaltung mit fast 1500 Köpfen und als Mensch in politischer Verantwortung werde ich meine Führungsrolle nicht nur annehmen, sondern auch aktiv ausüben.

In diesem Sinne: machen wir uns zusammen an die Arbeit. Beantworten wir die offenen Fragen unserer Zukunft, und lassen Sie uns aus Bewährtem und Neuem mutig einen Weg in eine gute Zukunft für die Menschen in Marburg-Biedenkopf einschlagen. Und gemeinsam - auch im Kleinen - die heutigen und die zukünftigen Herausforderungen gestalten.

Ich freue mich darauf.

Vielen Dank.

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