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Pressemitteilung 018/2025

15.01.2025

Gesundheitsamt empfiehlt Impfschutz gegen „Polio“ zu überprüfen – Schutz gegen „Kinderlähmung“ kann verbessert werden

Marburg-Biedenkopf – Seit 2021 wird in einem Forschungsprojekt in sieben deutschen Städten regelmäßig das Abwasser auf bestimmte Krankheitserreger untersucht. Dabei wurden an allen Test-Standorten veränderte Impf-Polio-Viren nachgewiesen. Bisher wurde aber kein Fall von Poliomyelitis (Kinderlähmung), die Erkrankung, die durch Polio-Viren ausgelöst werden kann, in Deutschland gemeldet. Da die Impfquoten nicht ausreichend sind, empfiehlt das Gesundheitsamt, den Impfschutz gegen Polio, so die geläufige Kurzfassung, zu überprüfen und bei Bedarf zu vervollständigen. Die Impfung ist sicher und bietet einen guten Schutz. 

„Infektionen mit Polio-Viren können bei einem kleinen Teil der Infizierten zu einer sogenannten schlaffen Lähmung führen. Betroffen sind meist Kinder unter fünf Jahren, daher nennt man die Erkrankung auch Kinderlähmung“, erläutert Dr. Birgit Wollenberg, die Leiterin des Gesundheitsamtes Marburg-Biedenkopf. „Die Lähmungen können zu dauerhaften Beeinträchtigungen oder sogar zum Tod führen, wenn beispielsweise die Atemmuskulatur betroffen ist. Die meisten Infizierten entwickeln jedoch nur allgemeine Symptome und erholen sich wieder. Polioviren verbreiten sich von Mensch zu Mensch“, so die Amtsärztin. 

Gegen Kinderlähmung werde seit Jahrzehnten erfolgreich geimpft. Von dem Polio-Virus habe es drei Wildtypen gegeben, von denen bereits zwei als ausgerottet gelten. Geblieben sei der „Wildtyp 1“, der zurzeit nur außerhalb Europas noch auftrete. „Für die Impfungen wurde jahrzehntelang ein Schluckimpfstoff eingesetzt, der abgeschwächte Polio-Viren enthielt. Diese Viren vermehren sich, so dass im Körper ein Immunschutz aufgebaut wird. Geimpfte scheiden dann eine Zeitlang Impfviren aus“, erklärt Dr. Wollenberg. In Ländern, in denen die Schluckimpfung genutzt werde, sei dies sogar zu einem Teil erwünscht, weil so auch Menschen mit den abgeschwächten Impfviren in Kontakt kämen und immunisiert würden, ohne die eigentliche Schluckimpfung zu bekommen, beschreibt das Robert Koch-Institut (RKI). Wenn diese Viren jedoch länger zirkulierten, könne es zur Veränderung des Erbguts des Virus kommen. „Immer wieder wurden solche veränderten Impfviren beobachtet, die auch Lähmungen verursachten. Dies war der Hauptgrund dafür, dass in Deutschland und vielen anderen Ländern 1998 der Schluckimpfstoff durch einen inaktivierten Impfstoff abgelöst wurde, der gespritzt wird und keine Krankheit auslösen kann“, sagt Dr. Wollenberg.

 

Überwachung von Kläranlagen 

Seit 2021 wird in einem Forschungsprojekt in sieben deutschen Städten (München, Bonn, Köln, Hamburg, Dresden, Düsseldorf und Mainz) regelmäßig das Abwasser auf bestimmte Krankheitserreger untersucht. Dort wurden an allen Test-Standorten auch veränderte Impf-Polioviren nachgewiesen. Da die Schluckimpfung in einigen Ländern noch eingesetzt wird, sind Nachweise von Impfviren im Abwasser nicht ungewöhnlich. Dies gilt auch für Länder, die keine Schluckimpfung mehr nutzen, da Impfviren durch Reisende hineingebracht werden können. In Deutschland konnten Polio-Impfviren bereits mehrfach im Abwasser nachgewiesen werden. 

Es handelt sich um Impfviren, die sich bereits genetisch verändert haben, sich also schon länger verbreiten. Außerdem zeigte die genaue Untersuchung des Viren-Erbguts, dass die Viren an den verschiedenen Orten in Deutschland sehr ähnlich sind. Das bedeutet, dass es sich um ein zirkulierendes Impfvirus handelt, das bereits verbreitet ist. Unklar ist, ob das Virus bereits innerhalb von Deutschland zirkuliert oder ob die Viren ausschließlich von Menschen ausgeschieden werden, die sich außerhalb Deutschlands infiziert haben. Es ist jedoch denkbar, dass Menschen hierzulande das Virus weitergeben und einzelne, ungeimpfte Personen möglicherweise auch erkranken. 

„Es gibt zu viele ungeschützte Menschen. Je mehr ungeschützte Menschen es gibt, desto leichter ist es für das Virus, sich zu verbreiten. Deswegen ist es wichtig, auf rechtzeitige Impfungen zu achten“, rät die Leiterin des Gesundheitsamtes. Laut Empfehlungen sollte die aus drei Impfstoffdosen bestehende Grundimmunisierung bei Kindern gegen Polio mit zwölf Monaten abgeschlossen sein. Aktuelle Impfquoten zeigen jedoch, dass die dritte Impfdosis meist zu spät verabreicht wird. Deswegen haben bundesweit mehr als eine halbe Million Kinder eines Geburtsjahrgangs zum ersten Geburtstag noch keinen vollständigen Impfschutz. Mit zwei Jahren sind es immer noch mehr als 180.000 Kinder pro Jahrgang.  Zudem gibt es große regionale Impflücken: In manchen Landkreisen sind weniger als 60 Prozent der Zweijährigen geschützt. Im Landkreis Marburg-Biedenkopf ist die Impf-Quote höher und beläuft sich auf rund 80 Prozent der Zweijährigen, die geschützt sind.

 

Empfehlung des Robert Koch-Instituts und der Ständigen Impfkommission (STIKO) 

Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt allen, den Impfschutz gegen Polio zu überprüfen und zu vervollständigen. Dies gilt besonders für Kinder, aber auch für Jugendliche und Erwachsene. Für medizinisches Personal und den öffentlichen Gesundheitsdienst gibt es spezifische Empfehlungen beim RKI. 

Kinder im Alter zwischen zwölf Monaten und acht Jahren sollten mindestens drei Mal gegen Poliomyelitis geimpft worden sein, wobei der Abstand zwischen der ersten und zweiten Impfung mindestens vier Wochen und zwischen der letzten und der vorletzten Impfung mindestens sechs Monate betragen soll. 

Bei Personen ab acht Jahren sollte eine vierte Dosis als Auffrischung im Abstand von fünf bis zehn Jahren zur letzten Dosis gegeben werden. 

In Deutschland wird nur mit dem inaktivierten Polio-Impfstoff (IPV) geimpft. Die Impfung bietet einen fast 100-prozentigen Schutz vor der Erkrankung. 

Für Fragen rund eine Impfung gegen die „Kinderlähmung“ können sich Interessierte an ihre Haus- oder Kinderarztpraxis wenden.

 

Weitere Informationen bietet das Gesundheitsamt auch online unter:

https://www.marburg-biedenkopf.de/soziales_und_gesundheit/inhalte/polioviren-im-abwasser.php

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