Die nachfolgende öffentlich bekannt gemachte und im Volltext abgedruckte Allgemeinverfügung des Landkreises Marburg-Biedenkopf hat zum Inhalt, dass die Arbeiten zur Herstellung von baulichen Anlagen im Herrenwald einzustellen sind, für vorhandene Anlagen ein Nutzungsverbot verfügt wird und diese zu beseitigen sind. Ferner wird untersagt, im Verlauf der planfestgestellten Trasse der künftigen Autobahn A 49 im Gebiet des Landkreises Marburg-Biedenkopf neue bauliche Anlagen zu errichten und zu nutzen.
An jede Person im Herrenwald auf dem Gebiet der Stadt Stadtallendorf
Allgemeinverfügung
Aufgrund der §§ 60, 61, 81 und 82 der Hessischen Bauordnung (HBO) vom 28. Mai. 2018 (GVBl. S. 198), zuletzt geändert durch Gesetz vom 3. Juni 2020 (GVBl. S. 378), i. V. m. § 35 Satz 2 des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (HVwVfG) in der Fassung vom 15. Januar 2010 (GVBl. S. 18), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. September 2018 (GVBl. S. 570) sowie § 80 Abs. 2 S.1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328), wird Folgendes angeordnet:
- Die Bauarbeiten zur Errichtung baulicher Anlagen, wie begehbaren Plattformen, Baumhäusern u. Ä., im Ast- und Kronenbereich mehrerer Bäume auf dem Verlauf der planfestgestellten Trasse der künftigen Autobahn A 49 auf den Grundstücken in der Gemarkung Erksdorf, Flur 11, Flurstück 1/3 und in der Gemarkung Stadtallendorf, Flur 42, Flurstück 437/64, sind sofort einzustellen.
- Für die unter Ziffer 1 beschriebenen baulichen Anlagen wird die Nutzung untersagt. Bis einschließlich 25.09.2020 können persönliche Gegenstände aus den baulichen Anlagen entfernt werden.
- Die unter Ziffer 1 beschriebenen baulichen Anlagen sowie alle Ablagerungen von Baumaterialien und Abfall sind binnen fünf Tagen nach Inkrafttreten dieser Verfügung vollständig zu beseitigen.
- Es wird untersagt, auf den in Ziffer 1 genannten Grundstücken sowie auf dem Grundstück in der Gemarkung Niederklein, Flur 15, Flurstück 20/18, im Bereich der planfestgestellten Trasse der Autobahn A 49, neue bauliche Anlagen zu errichten und zu nutzen.
- Hinsichtlich der Nutzungsuntersagung nach Ziffer 2 wird die Zwangsräumung angedroht. Dies bedeutet, dass die Nutzer aus dem Besitz gesetzt werden.
- Für den Fall der Nichtbefolgung von Ziffer 3 dieser Verfügung innerhalb der dort gesetzten Frist wird hinsichtlich Ziffer 3 die Ersatzvornahme angedroht.
- Für die angeordneten Maßnahmen zu Ziffer 1 bis 4 wird gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Ziffer 4 VwGO die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse angeordnet.
- Diese Allgemeinverfügung tritt am Tag nach ihrer öffentlichen Bekanntgabe in Kraft.
Begründung
I.
Im Rahmen der Ortsbesichtigung am 16.09.2020 hat die Bauaufsicht des Landkreises Marburg-Biedenkopf festgestellt, dass auf den in Ziffer 1 genannten Grundstücken im Ast- und Kronenbereich mehrerer Bäume begehbare bauliche Anlagen, wie begehbare Plattformen, Baumhäuser u. Ä., überwiegend aus Holz und unter Verwendung von Seilen sowie diverser anderer Materialien, angebracht wurden. Nach dem Eindruck der Begehung sowie der aktuellen Berichterstattung in der Presse werden diese Plattformen von Personen als Aufenthalts- und Schlafplatz genutzt und sind teilweise bereits mit Matratzen belegt. Die baulichen Anlagen befinden sich in einer Höhe von ca. 10 m und sind unter Ausnutzung der vorhandenen Baumstruktur mit dem Erdboden verbunden (Bilder in der Akte der Bauaufsichtsbehörde).
II.
- Die Zuständigkeit des Kreisausschusses des Landkreises Marburg-Biedenkopf als untere Bauaufsichtsbehörde zum Erlass dieser Verfügung ergibt sich aus § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 b), S. 3 HBO.
- Vorhabenträgerin des Weiterbaues der A 49 mit Anschluss an die A5 ist die Bundesrepublik Deutschland (Bundesstraßenverwaltung), so dass es sich bei dieser Maßnahme um ein planfestgestelltes Vorhaben in öffentlicher Trägerschaft handelt. Die im Rahmen der o. g. Ortsbesichtigung festgestellten Anlagen im Trassenbereich der planfestgestellten Bundesautobahn sind offenkundig nicht Teil dieses Vorhabens der Bundesstraßenverwaltung, sondern sollen dazu dienen, die erforderliche Rodung der für die Trassenführung benötigten Waldfläche zu verzögern. Die vorhandenen Anlagen stellen mithin für das Vorhaben in öffentlicher Trägerschaft Hindernisse dar. Vorliegend geht es daher nicht um ein bauaufsichtliches Zustimmungsverfahren im Rahmen des § 79 HBO. Vielmehr ist die untere Bauaufsichtsbehörde gehalten, innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches auch im Trassenbereich der A 49 auf baurechtskonforme Zustände hinzuwirken.
- Verfahrensrechtlich ist ein Einschreiten im Wege einer Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 HVwVfG) geboten, da die Erbauer*innen und Nutzer*innen der baulichen Anlagen der Bauaufsicht nicht bekannt sind. Die Personen, die bei der Ortsbesichtigung im Wald angetroffen wurden, waren bemüht, ihre Identität nicht preiszugeben. Zudem ist davon auszugehen, dass der vor Ort anwesende Personenkreis einem ständigen Wechsel unterliegt. Diese Allgemeinverfügung richtet sich deshalb an die Erbauer*innen und Nutzer*innen der baulichen Anlagen bzw. Personen, die die Nutzung dieser Anlagen oder die Errichtungen neuer baulicher Anlagen in dem unter Ziffer 1 beschriebenen Trassenbereich beabsichtigen. Es handelt sich insoweit um einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmbaren Personenkreis i. S. v. § 35 S. 2 1. Alt. HVwVfG.
Eine vorherige Anhörung ist nicht erforderlich, da eine Allgemeinverfügung erlassen wird und aufgrund der gegebenen Umstände und der Eilbedürftigkeit der Gefahrenabwehr (s. u.) eine Anhörung nicht angezeigt ist (§ 28 Abs. 2 Nr. 4 HVwVfG). - Die errichteten baulichen Anlagen erfüllen die Einstufungskriterien des § 2 Abs. 2 HBO und sind somit bauliche Anlagen i. S. d. § 2 Abs. 1 HBO, auf die nach § 1 Abs. 1 der HBO die Vorschriften und Anforderungen der HBO anzuwenden sind. Bauliche Anlagen sind mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen. Eine Verbindung mit dem Erdboden besteht auch dann, wenn die Anlage durch eigene Schwere auf dem Erdboden ruht oder auf ortsfesten Bahnen begrenzt beweglich ist oder wenn die Anlage nach ihrem Verwendungszweck dazu bestimmt ist, überwiegend ortsfest genutzt zu werden (§ 2 Abs. 2 S. 1 und 2 HBO). Dabei wird der Begriff der baulichen Anlage allgemein weit ausgelegt, um dem Zweck des Bauordnungsrechts Rechnung zu tragen und damit umfassend die erforderlichen Anforderungen an alle baulichen Anlagen zu regeln und deren Durchsetzung zu gewährleisten. Für den vorliegenden Zusammenhang ist ausreichend, dass die Verbindung mit dem Erdboden durch einen Baum oder eine Haltevorrichtung unter Ausnutzung der Schwerkraft erfolgt. Folglich sind auch Plattformen auf Bäumen, insbesondere im Kronenbereich, bauliche Anlagen im Sinne des § 2 Abs. 2 HBO. Es ist also „etwas angelegt worden“, dass ersichtlich von Menschenhand geschaffen worden ist (vgl. Hornmann, HBO, Kommentar, 2. Aufl. 2011, § 2 HBO Rn. 6).
- Die Errichtung, Aufstellung, Anbringung, Änderung, Nutzungsänderung, der Abbruch und sie Beseitigung baulicher Anlagen bedürfen gem. § 62 Abs. 1 HBO der Baugenehmigung. Indessen wurden für die errichteten Plattformen und Baumhäuser bei der zuständigen unteren Bauaufsicht des Landkreises Marburg-Biedenkopf keine Baugenehmigungen beantragt. Da keine Baugenehmigungen vorliegen, ist die Errichtung der Baumhäuser formell illegal.
- Die errichteten baulichen Anlagen sind auch materiell baurechtswidrig, da sie gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoßen, wozu nicht nur baurechtliche Vorschriften, sondern alle Normen des öffentlichen Rechts - sowohl formeller als auch materieller Art - gehören (Hornmann, a.a.O., § 72 Rn. 11).
Gem. § 3 Abs. 1 HBO sind bauliche Anlagen sowie andere Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden.- Die festgestellten baulichen Anlagen sollen von den dort handelnden Personen als Aufenthaltsräume genutzt werden. Als Aufenthaltsräume verstoßen diese gegen diverse Sicherheitsvorschriften der HBO. Die Konstruktion erfolgte unter Verwendung diverser Materialien und Verbindungsmittel. Die nach § 12 i. V. m. § 68 HBO notwendige Standsicherheit und Dauerhaftigkeit ist augenscheinlich weder gegeben noch nach den anzuwendenden technischen Baubestimmungen nachweisbar. Umwehrungen oder Absturzsicherungen (§ 41 HBO) sind nicht vorhanden. Zudem verfügen die Baumhäuser weder über die erforderlichen Rettungswege (§ 36 HBO, erster und zweiter Rettungsweg) noch ist der Standort für Rettungskräfte mit Einsatzfahrzeugen auf befahrbaren Wegen erreichbar (§ 4 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 S. 2 HBO). Wegen nicht vorhandener Löschwasserversorgung sind die zum Brandschutz notwendigen wirksamen Löscharbeiten (§ 14 Abs. 1 HBO) nicht möglich. Es besteht deshalb die konkrete Gefahr, dass im Gefahrenfall Personen aus den Baumhäusern nicht sicher und rechtzeitig gerettet werden können oder Rettungskräfte sich selbst im Einsatz in unzumutbarer Weise gefährden müssen.
Nach der langen Trockenperiode der letzten Monate besteht zudem erhöhte Waldbrandgefahr (auf Datenbasis DWD vom 11.09.2020 stuft das Hessische Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz die aktuelle Waldbrandgefahr in Hessen als mit mittel bis lokal hoch ein), die durch den ständigen Aufenthalt von unbekannten, häufig wechselnden Personen und Errichtung der baulichen Anlagen in diesem Bereich noch deutlich erhöht wird. Nach Einschätzung der Feuerwehren ist bei einem Brandfall in einem Baumhaus in dieser Höhe davon auszugehen, dass die Tragekonstruktion innerhalb kürzester Zeit durch das Feuer ihre Tragfähigkeit verlieren wird. Hinzu kommt, dass es eine schnelle und massive Ausbreitung des Feuers im Baumhaus geben wird und das Risiko eines Übergreifens des Feuers auf benachbarte Bäume sowie diverse Vegetationen im Umfeld und damit auch auf das Waldgebiet insgesamt besteht. Realisiert sich die bestehende akute Waldbrandgefahr im Forst, entsteht nach feuerwehrtechnischer Einschätzung eine nicht mehr beherrschbare Lage, die das Leben und die Gesundheit vieler Menschen bedrohen wird.
Aufgrund der vorgefundenen Gefahrenlage wurde gegenüber den am Standort Erksdorf mit der Errichtung der Plattformen bzw. Baumhäuser beschäftigten Personen von den Mitarbeitenden der zuständigen Bauaufsicht des Landkreises Marburg-Biedenkopf mündlich die Einstellung der Bauarbeiten angeordnet und die Nutzung der Anlagen untersagt. Am Standort Stadtallendorf konnten zum Zeitpunkt der Ortsbesichtigung keine Personen angetroffen werden.
Aufgrund der Erfahrungen im Dannenröder Forst ist ferner davon auszugehen, dass nach Besetzung der baulichen Anlagen Feuerstellen zur Wärmeerzeugung und Essenszubereitung, auch mittels Gaskochern, eingerichtet und betrieben werden.
Selbst wenn die Waldbrandgefahr aufgrund der jahreszeitlichen Temperaturveränderungen und vermehrten Niederschlägen abnehmen sollte, ist mit einer vermehrten Nutzung der Feuerstellen zur Wärmeerzeugung zu rechnen, so dass auch zukünftig von einer konkreten Waldbrandgefahr auszugehen ist. - Weiterhin verstoßen die Anlagen gegen Bauplanungsrecht.
Das Grundstück, auf dem die v. g. Anlagen errichtet wurden, ist nach den Vorschriften des § 35 Baugesetzbuch (BauGB) dem bauplanungsrechtlichen Außenbereich zuzuordnen.
Es handelt sich bei diesen Anlagen nicht um Vorhaben, die im bauplanungsrechtlichen Außenbereich i. S. d. § 35 Abs. 1 BauGB zulässig sind oder zugelassen werden können. Vielmehr sind die Anlagen als sonstige Vorhaben i. S. d. § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilen.
Nach § 35 Abs. 2 BauGB können sonstige Vorhaben im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung und Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.
Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt insbesondere dann vor, wenn ein Vorhaben gegen die in § 35 Abs. 3 Nr. 1, 5 und 7 BauGB genannten öffentlichen Belange verstößt. Dies ist hier der Fall.
Die Plattformen und Baumhäuser widersprechen den Darstellungen des rechtskräftigen Flächennutzungsplanes (§ 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB) der Stadt Stadtallendorf, der diesen Bereich als Fläche für die Forstwirtschaft (Wald) darstellt. Die Errichtung der Baumhäuser verstößt gegen § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB gennannten Belange des Naturschutzes und stellen einen unzulässigen Eingriff i. S. des § 14 Bundesnaturschutzgesetz (BNatschG) dar. Der zum Zeitpunkt der Ortsbesichtigung vorgefundene Umfang der bereits in den Bäumen errichteten baulichen Anlagen sowie die Tatsache, dass die Baumaßnahmen offensichtlich noch weiter fortgeführt wurden, lassen zudem nach § 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB die unzulässige Entstehung und Verfestigung einer Splittersiedlung (hier: Protestcamp) befürchten.
Zudem ist die in § 35 Abs. 2 BauGB geforderte Erschließung nicht gesichert. Dem Standort fehlen nicht nur die notwendigen Ver- und Entsorgungseinrichtungen, sondern er ist auch nur sehr bedingt und mit großem Aufwand für Lösch- oder Einsatzfahrzeuge der Feuerwehren und Rettungsdienste erreichbar, da er weder über eine ausreichend befestigte und sicher benutzbare Zuwegung, noch über eine notwendige Löschwasserversorgung verfügt.
Die am Standort errichteten Plattformen und Baumhäuser sind somit auch bauplanungsrechtlich unzulässig. - Aufgrund der dargestellten Verstöße gegen Bauordnungs- und Bauplanungsrecht können für die baulichen Anlagen keine Baugenehmigungen erteilt werden.
- Die festgestellten baulichen Anlagen sollen von den dort handelnden Personen als Aufenthaltsräume genutzt werden. Als Aufenthaltsräume verstoßen diese gegen diverse Sicherheitsvorschriften der HBO. Die Konstruktion erfolgte unter Verwendung diverser Materialien und Verbindungsmittel. Die nach § 12 i. V. m. § 68 HBO notwendige Standsicherheit und Dauerhaftigkeit ist augenscheinlich weder gegeben noch nach den anzuwendenden technischen Baubestimmungen nachweisbar. Umwehrungen oder Absturzsicherungen (§ 41 HBO) sind nicht vorhanden. Zudem verfügen die Baumhäuser weder über die erforderlichen Rettungswege (§ 36 HBO, erster und zweiter Rettungsweg) noch ist der Standort für Rettungskräfte mit Einsatzfahrzeugen auf befahrbaren Wegen erreichbar (§ 4 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 S. 2 HBO). Wegen nicht vorhandener Löschwasserversorgung sind die zum Brandschutz notwendigen wirksamen Löscharbeiten (§ 14 Abs. 1 HBO) nicht möglich. Es besteht deshalb die konkrete Gefahr, dass im Gefahrenfall Personen aus den Baumhäusern nicht sicher und rechtzeitig gerettet werden können oder Rettungskräfte sich selbst im Einsatz in unzumutbarer Weise gefährden müssen.
- Gegen die formell und materiell illegal errichteten baulichen Anlagen im Trassenbereich der A 49 und dessen Umfeld kann die untere Bauaufsicht auf der Grundlage von §§ 61 Abs. 2 S. 2, 81 und § 82 Abs. 1 HBO in Ausübung pflichtgemäßem Ermessens einschreiten.
Einem bauordnungsrechtlichen Einschreiten steht das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) nicht entgegen. Auf dieses Grundrecht können sich die Personen, die die Plattformen und Baumhäuser errichtet haben und/oder nutzen, dies beabsichtigen oder neue baulichen Anlagen auf dem unter Ziffer 1 und 4 bezeichneten planfestgestellten Trassenbereich der künftigen Autobahn A 49 errichten wollen, nicht berufen.
Es besteht keine vorrangige versammlungsrechtliche Zuständigkeit, da die von den Adressaten erbauten und genutzten baulichen Anlagen zum dauerhaften Aufenthalt nicht unter den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG fallen. Die vorgenannten Anlagen sind im konkreten Fall weder eine notwendige Voraussetzung zur Durchführung einer Versammlung, noch wohnt ihnen in der Gesamtschau ein prägendes kommunikatives Element inne. Sie werden von den Adressaten ausschließlich auf der Trassenführung errichtet, um private Forderungen selbsthilfeähnlich durchzusetzen. Die Versammlungsfreiheit schützt jedoch "nur die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonstige selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen“ (vgl. BVerfG, B. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90, 1 BvR 2173/93, 1 BvR 433/96 - juris Rn. 44). Wäre das Ziel der Adressaten die Teilnahme am öffentlichen Diskurs, könnten die vorgenannten Anlagen auch jenseits der Trassenführung errichtet werden.
Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass geplant ist, die Anlagen - wie im Dannenröder Forst – über einen langen Zeitraum zu nutzen, so dass der - jeder Versammlung innewohnende - zeitlich begrenzte Charakter einer Versammlung nicht mehr gegeben ist. Mit anderen Worten die Teilnehmer sind "gekommen um zu bleiben".
Auch wenn die Grundrechtsträger grundsätzlich selbst bestimmen können, welche Maßnahmen sie zur Herstellung der öffentlichen Aufmerksamkeit für ihr Anliegen einsetzen wollen, ändert dies nichts daran, dass eine „Besetzung der Bäume“ bzw. die „Errichtung von Verteidigungsanlagen“ gegen eine rechtsstaatlich durchzusetzende, planfestgestellte BAB-Maßnahme nicht zu den versammlungsrechtlich geschützten Mitteln gehören.
Ferner werden von den protestierenden Personen aufgrund des von ihnen erwarteten Beginns der Räumung und Rodung die Bauarbeiten an den Plattformen bzw. Baumhäusern fortgesetzt, obwohl bereits im Rahmen in der Ortsbesichtigung am 16.09.2020 durch Mitarbeitende der unteren Bauaufsichtsbehörde mündlich die Einstellung der Bauarbeiten angeordnet wurde. Dieser Umstand lässt nach den aktuellen behördlichen Erkenntnissen erwarten, dass die Räumung/Beseitigung und die anschließende Rodung des planfestgestellten Trassenbereiches der Autobahn A 49 nicht „friedlich“ verlaufen werden und die Anlagen schon aus diesem Grund nicht von Art. 8 Abs. 1 GG erfasst werden. - Ermächtigungsgrundlagen zu den Ziffern 1 bis 4
Die Baueinstellungsverfügung (Ziffer 1) beruht auf § 81 Abs. 1 HBO, die Nutzungsuntersagung (Ziffer 2) auf § 82 Abs. 1 S. 2 HBO und die Beseitigungsanordnung (Ziffer 3) auf § 82 Abs. 1 S. 1 HBO. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlagen liegen vor.
Rechtsgrundlage für die Untersagung der Errichtung neuer baulicher Anlagen (Ziffer 4) ist § 61 Abs. 2 S. 2 HBO. Ein entsprechendes bauaufsichtliches Einschreiten ist geboten, weil die am 16.09.2020 festgestellten illegalen Bautätigkeiten weiter andauern (Berichterstattung in der Presse und Twitter-Account der Besetzergruppe „Im Norden ok“) und auch stetig neues Baumaterial dafür herangeschafft wird. Aufgrund der Feststellungen im Rahmen der Ortsbesichtigung, der Bekundung der dort anwesenden und mit Bauarbeiten beschäftigten Personen sowie der Berichterstattung in der örtlichen Presse (vgl. hierzu z. B. https://www.op-marburg.de/Landkreis/Ostkreis/A49-Gegner-Herrenwald-Besetzung-ist-moeglich) ist davon auszugehen, dass mit der Errichtung weiterer illegaler baulicher Anlagen auf dem planfestgestellten Trassenbereich der künftigen Autobahn A 49 zu rechnen ist. Aufgrund der bauaufsichtlichen Feststellungen in Erksdorf und in Stadtallendorf ist ferner davon auszugehen, dass diese baulichen Anlagen umgehend auch einer illegalen baulichen Nutzung in Form eines Protestcamps zugeführt werden, so dass konkrete Anhaltspunkte für eine unmittelbar bevorstehende rechtswidrige Nutzung vorliegen. Ein Zuwarten bis zur Verwirklichung der illegalen Nutzung läuft daher dem Zweck einer effektiven Gefahrenabwehr entgegen. Demgemäß ist die Bauaufsichtsbehörde befugt, auf Grundlage von § 61 Abs. 2 S. 2 HBO vorbeugend die Errichtung und Nutzung neuer baulicher Anlagen zu untersagen (vgl. hierzu auch Hormann, a.a.O., § 53, Rn. 88a sowie § 72 Rn. 223; Hess. VGH, Beschluss vom 25.05.2001 – 4 TG 764/01, NWvZ-RR 2002, 489). - Die Erbauer*innen und Nutzer*innen der Plattformen und Baumhäuser bzw. Personen, die die Nutzung dieser Anlagen oder die Errichtungen neuer baulicher Anlagen im dem unter Ziffer 1 beschriebenen Trassenbereich beabsichtigen, sind als Verhaltens- und/oder Zustandsverantwortliche gemäß § 3 Abs. 1 S. 3 i. V. m. §§ 6, 7 HSOG die richtigen Adressaten dieser Allgemeinverfügung (vgl. auch Hornmann, a.a.O., § 72, Rn. 67).
- Verhältnismäßigkeit der Anordnungen Ziffer 1 bis 4
- Die Anordnungen sind geeignet, bauordnungsrechtlich rechtmäßige Zustände wiederherzustellen bzw. die Errichtung neuer illegaler baulicher Anlagen auf dem o. g. Grundstück bzw. im Trassenbereich des Ausbaus der A 49 zu verhindern.
- Ein milderes Mittel als die Baueinstellung und die Untersagung der Nutzung der rechtswidrig errichteten baulichen Anlagen (Ziffer 1 und 2) ist zur Erreichung des angestrebten Zwecks (hier: Vermeidung von Gefahren für Leib und Leben, unzulässiges Bauen im Außenbereich), bauaufsichtlich nicht erkennbar.
Auch zur Beseitigung der ohne Baugenehmigung errichteten baulichen Anlagen die weder bauplanungs- noch bauordnungsrechtlich genehmigungsfähig sind (Ziffer 3), ist ein milderes Mittel nicht ersichtlich. Der hiermit verbundene Substanzeingriff ist deshalb gerechtfertigt und erforderlich, weil bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen ist, dass die Anlagen - trotz Nutzungsverbot - im Rahmen des Protests gegen die Rodung des Waldes immer wieder besetzt werden, solange sie vorhanden sind. Die oben dargestellten Gefahren für Leib und Leben, insbesondere durch Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften der HBO und die Waldbrandgefahr können nur durch eine vollständige Beseitigung der baulichen Anlagen ausgeschlossen werden. Ein Nutzungsverbot ist insoweit allein nicht ausreichend.
Die Erforderlichkeit der Anordnung zu Ziffer 4 folgt aus den dargestellten Bekundungen der vor Ort anwesenden und mit den Bauarbeiten beschäftigten Personen sowie der Berichterstattung in der örtlichen Presse. Die Untersagung, neue bauliche Anlagen auf dem unter Ziffer 1 beschriebenen Bereich zu errichten und zu nutzen, stellt das einzige Mittel dar, um neue baurechtswidrige Zustände in und um den Standort bzw. auf der planfestgestellten Trasse des Ausbaus der A 49 zu verhindern. - Die Anordnungen sind auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Hier ist zu berücksichtigen, dass für das Bauvorhaben ein bestandskräftiger Planfeststellungsbeschlusses des Hessischen Verkehrsministeriums vom 30.05.2012 vorliegt, dessen Rechtmäßigkeit das Bundesverwaltungsgericht, zuletzt am 02.07.2020, bestätigt hat. Wie dargelegt, gehen von den Plattformen und Baumhäusern, die formell und materiell bauordnungswidrig errichtet wurden, erhebliche Gefahren für die Nutzer und die Allgemeinheit aus und die Anlagen unterliegen nicht dem Schutzbereich des Art. 8 GG. Somit hat das rechtlich nicht schutzwürdige Interesse der Adressaten dieser Verfügung am Erhalt der Anlagen und der Errichtung weiterer Anlagen gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Umsetzung des rechtmäßigen Bauvorhabens zurückzutreten.
Hinsichtlich des mit der Beseitigungsanordnung (Ziffer 3) verbundenen Substanzeingriffs ist darauf hinzuweisen, dass - anders als im Fall der Errichtung einer baulichen Anlage ohne Baugenehmigung auf eigenem Grund und Boden - im vorliegenden Fall die baulichen Anlagen auf fremden Grundstücken errichtet worden sind. Die Errichter*innen der Anlagen sind daher insoweit nicht schutzwürdig. Sie müssen vielmehr davon ausgehen, dass der Grundstücksberechtigte DEGES GmbH (im Folgenden DEGES) jederzeit die Beseitigung der Anlagen vornehmen kann.
- Zwangsmittelandrohung
Da es bisher keine Anzeichen bzw. nach öffentlich bekannten Bekundungen der Baumbesetzer*innen auch nicht davon auszugehen ist, dass die Nutzungsuntersagung (Ziffer 2) von den Adressaten freiwillig befolgt wird und die Beseitigung der baulichen Anlagen (Ziffer 3) von den Adressaten selbst veranlasst werden wird, ist die Androhung vom Zwangsmitteln in Ziffern 5 und 6 erforderlich.- Ziffer 5 (Androhung der Zwangsräumung)
Hinsichtlich der Nutzungsuntersagung (Ziffer 2) wird in Ziffer 5 gegenüber den Adressaten dieser Allgemeinverfügung die Zwangsräumung nach § 78 HessVwVG angedroht.
Gemäß § 72 Abs. 1 HessVwVG kann dieses Zwangsmittel abweichend von § 69 HessVwVG vollstreckt werden, wenn eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren ist. Eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit ist gegeben. Nach dem Eindruck der Begehung am 16.09.2020 sowie der aktuellen Berichterstattung in der Presse werden die errichteten baulichen Anlagen von Personen als Aufenthalts- und Schlafplatz genutzt und sind teilweise bereits mit Matratzen belegt worden. Aufgrund der formellen und materiellen Illegalität dieser Nutzung ist bereits eine Störung der öffentlichen Sicherheit (Verstoß gegen Bauordnungs- und Bauplanungsrecht) eingetreten und die Nutzung der Anlagen ist mit den bereits beschriebenen Gefahren (Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften der HBO, Waldbrandgefahr) für die Baumbesetzer*innen und die Allgemeinheit verbunden (s. o. Nr. 6 a). Jedenfalls ist davon auszugehen, dass die Anzahl der Baumbesetzer*innen ansteigen wird, was zur Folge hat, dass das Risiko eines Waldbrandes mit unvorhersehbaren Folgen täglich zunimmt.
Da es sich bei der zu erzwingenden Nutzungsuntersagung um eine Unterlassung handelt, erübrigt sich eine Fristsetzung (§ 69 Abs. 1 Nr. 2, Hs. 2 HessVwVG).
Nach § 72 Abs. 1 HessVwVG wird von der adressatenbezogenen Zustellung der Androhung (§ 69 Abs. 1 Nr. 3 HessVwVG) abgewichen, die vorliegend wegen des dauernd wechselnden und anonymen Personenkreis auch tatsächlich nicht möglich ist.
Abgewichen wird gem. § 72 Abs. 1 HessVwVG weiterhin von dem Erfordernis, dass den Nutzern*innen als den Adressaten bei der Setzung aus dem Besitz, also ihrer Entfernung aus den illegalen baulichen Anlagen, der Zeitpunkt der Zwangsräumung mit einer angemessenen Frist nach § 78 Abs. 1 HessVwVG anzukündigen ist.
Persönliche Gegenstände, die sich auf den baulichen Anlagen befinden, können die Betroffenen bis zu dem unter Ziffer 2 gesetzten Datum entfernen.
Die Androhung gem. Ziffer 5 dient somit dazu, die Adressaten dieser Allgemeinverfügung darüber zu informieren, dass sie mit der zwangsweisen Durchsetzung der Nutzungsuntersagung im Wege der Zwangsräumung zu rechnen haben. - Ziffer 6 (Androhung Ersatzvornahme)
Bezüglich der Anordnung der vollständigen Beseitigung der baulichen Anlagen (Ziffer 3) ist die Räumung und Beseitigung der beschriebenen baulichen Anlagen im Wege der Ersatzvornahme angezeigt, da die Personen, die die baulichen Anlagen errichtet haben, nicht zu ermitteln sind.
Da mit diesem Zwangsmittel eine Duldung bzw. Unterlassung erzwungen werden soll, bedarf es zudem keiner Fristsetzung für die Räumung der baulichen Anlagen durch die Nutzer*innen oder sonstigen Inhaber der tatsächlichen Gewalt (§ 69 Abs. 1 Nr. 2, 2. Hs. HessVwVG).
Hinsichtlich dieser Beseitigungsanordnung wird angedroht, dass die in Bezug auf die in Ziffer 1 bezeichneten Grundstücke die besitzberechtigte DEGES, die im Auftrag der öffentlichen-rechtlichen Vorhabenträgerin (Bundesstraßenverwaltung) und für das in Bundesauftragsverwaltung zuständige hessische Fachministerium die erforderlichen Waldrodungsmaßnahmen im Trassenbereich der A 49 im Herrenwald vornehmen wird, auch die baulichen Anlagen beseitigen wird. Es ist davon auszugehen, das DEGES angesichts der bevorstehenden Rodung über entsprechende Gerätschaften verfügt und daher eine Durchführung durch die besitzberechtigte DEGES möglich ist.
Soweit sich diese vertretbare Handlung aus der Sicht der Adressaten*innen als Ersatzvornahme (§ 74 HessVwVG) darstellt, ändert dies nichts daran, dass die DEGES uneingeschränkt besitzberechtigt ist und für sie die umfassende Beseitigung der vorhandenen baulichen Anlagen im Trassenbereich notwendige Voraussetzung dafür ist, die erforderliche Rodung des Waldgebietes durchführen zu können. Diesem Eigeninteresse wird bauaufsichtlich hier Rechnung getragen.
Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 1 HessVwVG sind auch hier auch hier gegeben. Wie zuvor geschildert, ist davon auszugehen, dass die Protestierenden bis zur Rodung versuchen werden, die baulichen Anlagen immer wieder in Besitz zu nehmen und deshalb nur durch deren Beseitigung die gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit infolge der Baumbesetzungen abgewendet werden kann.
Für die Beseitigung der baulichen Anlagen kann DEGES polizeiliche Vollzugshilfe (§ 44 HSOG) in Anspruch nehmen, die - wie dargelegt - im Auftrag des Bundes tätig wird.
Auch mit dieser Androhung werden die Adressaten darüber unterrichtet, dass erforderlichenfalls die zwangsweise Durchsetzung der Beseitigung der baulichen Anlagen im Wege der Ersatzvornahme erfolgen wird.
- Ziffer 5 (Androhung der Zwangsräumung)
- Öffentliche Bekanntgabe
Diese Allgemeinverfügung wird öffentlich bekannt gemacht, da eine Bekanntgabe an die betroffenen Personen als Adressaten nach den gegebenen Umständen (fehlende Identität der Personen, häufiger Personenwechsel) untunlich im Sinne des § 41 Abs. 3 Satz 2 HVwVfG ist.
Gemäß Ziffer 6 tritt diese Allgemeinverfügung am Tag nach ihrer öffentlichen Bekanntgabe in Kraft (§ 41 Abs. 4 S. 3 und 4 HVwVfG).
Die öffentliche Bekanntgabe der Allgemeinverfügung erfolgt dadurch, dass ihr verfügender Teil in den beiden Tageszeitungen im Kreisgebiet gemäß § 4 der Hauptsatzung des Landkreises Marburg-Biedenkopf vom 13.12.1974 zuletzt geändert am 15.07.2017, öffentlich bekanntgemacht wird und auf der Homepage des Landkreises Marburg-Biedenkopf (www.marburg-biedenkopf.de) vollständig, einschließlich Begründung, eingesehen werden kann. - Besondere Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffern 1 bis 4
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung gem. Ziffer 1 bis 4 dieser Allgemeinverfügung beruht auf § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO und ist zur Gefahrenabwehr erforderlich. Sie ist dann zulässig, wenn an der sofortigen Vollziehung ein öffentliches Interesse oder ein überwiegendes Interesse eines Beteiligten besteht. Vorliegend besteht ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Anordnungen unter Ziffer 1 bis 4 dieser Verfügung.
Die Funktion der Baueinstellung gem. Ziffer 1 dieser Verfügung, die in der Einhaltung des formellen Baurechts besteht, kann nur durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung sichergestellt werden. Ansonsten würde sie ihren präventiven Zweck verfehlen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist daher insoweit der absolute Regelfall und dient vorliegend dazu, die Verfestigung bereits unter Verstoß gegen die Baugenehmigungspflicht geschaffener Tatsachen zu verhindern (Hornmann, a.a.O., § 71 Rn. 56, § 72 Rn. 240). Aus diesem Grund kann der Ausgang eines eventuellen Widerspruchsverfahrens und eines anschließenden Klageverfahrens nicht abgewartet werden.
Entsprechendes gilt für die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Nutzungsverbots gem. Ziffer 2 dieser Verfügung (vgl. Hornmann, a.a.O., § 72 Rn. 240). Nach der ständigen Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes ist die Vollziehung eines Nutzungsverbots regelmäßig eilbedürftig. Auch hier würde durch das Abwarten des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens die präventive Kontrolle der Bauaufsicht unterlaufen. Ein Nutzungsverbot ohne Anordnung der sofortigen Vollziehung wäre in Kenntnis des bisherigen Handelns der Protestierenden und aufgrund der Lage im Wald (eine Einzäunung des Bereichs ist nicht möglich) nicht bzw. nur mit unverhältnismäßig hohen Anzahl an Einsatzkräften durchsetzbar. Ohne diese Anordnung bliebe die Kontrolle des baurechtlichen Geschehens auf dem unter Ziffer 1 genannten Trassenbereich wirkungslos, da bauliche Anlagen durch die Einlegung von Rechtsmitteln dem Zugriff der Bauaufsichtsbehörde entzogen und Tatsachen geschaffen werden könnten, die über einen langen Zeitraum hinaus einen rechtswidrigen Zustand ergeben oder die trotz Rechtswidrigkeit nicht mehr zu beseitigen sind.
Hinsichtlich der Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Beseitigungsanordnung (vorliegend Ziffer 3 dieser Verfügung) sind in der Rechtsprechung vier Fallgruppen anerkannt (vgl. hierzu Hornmann, § 72, Rn. 146). Vorliegend ist die Fallgruppe des „beharrlichen und notorischen Schwarzbauers“ gegeben, da davon auszugehen ist, dass die Baumbesetzer*innen nur durch die sofortige Beseitigung der baulichen Anlagen an der Fortsetzung ihrer rechtswidrigen Betätigungen gehindert werden können. In diesem Sinne haben die bei der Ortsbesichtigung am 16.09.2020 angetroffenen Personen die von der Bauaufsicht verfügte Baueinstellung „mit einem Lächeln“ zur Kenntnis genommen, keinesfalls aber zu erkennen gegeben, dass sie bereit sind, auf die Weiterführung der baulichen Aktivitäten zu verzichten. Ferner ist durch die Vorbildwirkung der illegal ausgeführten Vorhaben bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahren eine Nachahmung in einem solchen Maß zu befürchten, dass einer Ausweitung der bereits eingetretenen Störung der öffentlichen Sicherheit umgehend durch Anordnung der sofortigen Vollziehung vorgebeugt werden muss. Weiterhin gebieten die dargestellten von den baulichen Anlagen ausgehenden Gefahren für die Baumbesetzer*innen und die Allgemeinheit ein sofortiges Einschreiten durch Beseitigung der baulichen Anlagen. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch der geringe Sachwert der baulichen Anlage zu berücksichtigen.
Aus den vorgenannten Gründen wurde daher auch die Untersagung der Errichtung neuer Anlagen im Bereich der planfestgestellten Trasse der A 49 in Ziffer 4 dieser Verfügung für sofort vollziehbar erklärt.
Ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit kann nicht wirksam verhindert werden, dass die Anzahl der Protestierenden im Wald noch zunehmen wird, weitere bauliche Anlagen errichtet werden und sich auch die Waldbrandgefahr, z. B. durch Betreiben von Feuerstellen zum eigenen Aufwärmen oder zur Versorgung mit warmen Mahlzeiten, weiter erhöht. Demgemäß kann der Ausgang eines eventuellen Widerspruchsverfahrens und eines anschließenden Klageverfahrens nicht abgewartet werden.
Somit überwiegt das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Anordnung zu Ziffern 1 bis 4 das Aufschubinteresse der Nutzer*innen oder sonstigen Inhaber*innen der tatsächlichen Gewalt am vorläufigen Erhalt der baulichen Anlagen.
Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen diese Allgemeinverfügung kann innerhalb eines Monats nach der öffentlichen Bekanntgabe beim Kreisausschuss des Landkreises Marburg-Biedenkopf, Im Lichtenholz 60, 35043 Marburg, Widerspruch erhoben werden.
Marburg, den 23.09.2020
gez. Marian Zachow Erster Kreisbeigeordneter |
gez. Klaus Weber Kreisbeigeordneter |