Marburg. Mit Aggressionen umgehen, soziale Kompetenzen fördern und gewaltfreies Verhalten bei Konflikten erlernen – das sind grundlegende Ziele des Programms „Prävention in Kindergarten und Schule“ (PiKS). Die positive Wirkung von PiKS auf das Verhalten von Kindern ist wissenschaftlich nachgewiesen. Nun setzen die Stadt, der Landkreis und das Netzwerk gegen Gewalt Hessen das erfolgreiche Programm zur Gewaltprävention fort: Es soll auch in der Stadt Marburg eingeführt und für ältere Jahrgangsstufen erweitert werden.
„Es ist wichtig, dass Gewaltprävention als ein fester Bestandteil im Angebot von Kindertagesstätten und Schulen gestärkt wird. Mit der Fortsetzung von PiKS gehen wir einen weiteren gemeinsamen Schritt, um Gewaltprävention im Landkreis und in Marburg zu verstetigen und langfristig zu gestalten“, sagte Landrätin Kirsten Fründt. Gemeinsam haben sie und Bürgermeister Wieland Stötzel am 9. Dezember im Marburger Rathaus eine Kooperationsvereinbarung zwischen Stadt, Landkreis und dem wissenschaftlichen Projektleiter, Sozialpsychologieprofessor Prof. Dr. Ulrich Wagner, unterzeichnet – „um bereits das Entstehen von Aggressionen in Kindertagesstätten und Grundschulen zu reduzieren“, wie der Bürgermeister sagte.
Mit der Kooperationsvereinbarung wird das Programm zur ganzheitlichen „Prävention in Kindergarten und Schule“ (PiKS) fortgeführt und weiterentwickelt – im Rahmen einer Zusammenarbeit, die zunächst auf zwei Jahre ausgelegt ist. Stadt und Landkreis investieren dafür je 30.000 Euro. Das Netzwerk gegen Gewalt Hessen, dessen Geschäftsführerin Konstanze Schmidt an der Pressekonferenz teilnahm, unterstützt PiKS als hessisches Modellprojekt mit einer finanziellen Beteiligung in Höhe von 14.000 Euro. Das PiKS-Programm wird von der Universitätsstadt Marburg, dem Landkreis Marburg-Biedenkopf und dem Hessischen Netzwerk gegen Gewalt getragen und durch die Polizei sowie das Staatliche Schulamt unterstützt.
PiKS wird nun als Teil des Projektes „Einsicht – Marburg gegen Gewalt“ fortgeführt. „Mit PiKS wollen wir Gewaltprävention in der gesamten Kommune, der Stadt und im Landkreis noch stärker festigen und Kinder und Jugendliche beim gesunden Aufwachsen in Marburg unterstützen. Durch aufeinander aufbauende Übungen zu Konfliktlösung und Sozialkompetenz ist es möglich, Aggression und Gewalt in unserer Stadt noch weiter zu reduzieren“, ist Bürgermeister Stötzel überzeugt. Der Ordnungsdezernent verwies ebenso wie die Landrätin darauf, dass ein wichtiger Aspekt bei dem Projekt ist, den Einfluss der Medien auf das Verhalten der Kinder sowie mediale Gewalt wie Mobbing über soziale Netzwerke zu berücksichtigen.
Dabei gehe es nicht darum, die Konfliktkompetenz zu schulen – also nicht Konflikte zu vermeiden, sondern zu erlernen, sie auf friedliche Art und Weise auszutragen. „Bei der Entwicklung von Gewalt spielen Lernprozesse und frühkindliche Erfahrungen eine zentrale Rolle. Daher ist es sinnvoll, bereits in Kindergärten und Grundschulen mit gewaltpräventiven Maßnahmen anzusetzen. Genau das wollen wir mit PiKS erreichen“, sagte Prof. Wagner, der das Programm entwickelt und bereits ab 2010 im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung mit dem Landkreis Marburg-Biedenkopf umgesetzt hat.
Die AG Sozialpsychologie der Philipps-Universität hat das ganzheitliche Programm PiKS zunächst als einjähriges Pilotprojekt in zwei Kitas und einer Grundschule in Neustadt erprobt und dann in weiteren ausgewählten Kitas im Landkreis weiterentwickelt. Die Durchführung wurde wissenschaftlich begleitet und eine positive Wirkung auf das Verhalten der Kinder nachgewiesen. 2013 wurde das Projekt mit dem Deutschen Förderpreis Kriminalprävention ausgezeichnet – „unter anderem für die Wirkevaluation“, sagte Prof. Wagner.
Eine weitere Besonderheit an dem Programm sei, dass keine „Trainer*innen von außen“ für einen gewissen Zeitraum in die Kindertagesstätte oder Schule kommen, um ein Präventionsprojekt mit den Kindern durchzuführen. Stattdessen werden Erzieher*innen und Lehrer*innen so unterstützt und geschult, dass sie Maßnahmen zur Gewaltprävention selbst anwenden können. Dabei geht es etwa um die Entwicklung einheitlicher Regeln. Ziel ist dabei, dass Kindertagesstätten und die entsprechenden Grundschulen, die die Kinder nach der Kita besuchen, eine Einigkeit darüber entwickeln, was beispielsweise gesagt werden darf und was nicht beziehungsweise welches Verhalten angemessen ist oder nicht akzeptabel, erläuterte Prof. Wagner. Ziel ist, dass die Kinder das, was sie in der Kita an Verhaltensregeln erlernt haben, auch in der Grundschule weiter anwenden können.
Demnächst bietet PiKS je zwei Grundschulen in Stadt und Landkreis sowie Kindertageseinrichtungen, deren Kinder diese Schulen künftig besuchen, verschiedene „Bausteine“ auf mehreren Ebenen an. So gibt es für Kindergärten und Schulen die Ebene der Einrichtung, der jeweiligen Gruppe beziehungsweise Klasse sowie der individuellen Kinder und Schüler*innen. Beispielsweise werden sozial-emotionale Kompetenzen mit bestehenden Gewaltpräventionsprogrammen wie „Faustlos“ trainiert, es findet kollegiale Beratung statt, und weitere Maßnahmen werden individuell auf die Einrichtungen abgestimmt. Auf Schul-Ebene gibt es dann weiterführende Angebote, beispielsweise den Klassenrat.
Aus einer Reihe von Maßnahmen können die Einrichtungen je nach Bedarf verschiedene Elemente zusammenstellen, sodass das Programm an die individuellen Voraussetzungen der jeweiligen Einrichtungen angepasst werden kann. Die möglichen Maßnahmen sind in einer Broschüre mit allen wichtigen Informationen zu dem Programm ausführlich erläutert. In den teilnehmenden Einrichtungen werden klare und einheitliche Regeln für den Umgang miteinander aufgestellt und die sozialen und emotionalen Kompetenzen und Konfliktlösungsfähigkeiten der Kinder systematisch gefördert.
Langfristig sollen nachhaltige Veränderungen im Verhalten der Kinder erzielt werden, die zu einem Rückgang der Belastung von Erzieher*innen und Lehrer*innen sowie zu verbesserten Lernbedingungen in den beteiligten Einrichtungen beitragen. Sichergestellt werden soll die Wirksamkeit von PiKS durch eine aktive Beteiligung und Zusammenarbeit vom pädagogischen Fachpersonal und Eltern. Um Erzieher*innen und Lehrer*innen bei der Durchführung von PiKS zu entlasten, werden sie von einer Programm-Managerin unterstützt und fachlich begleitet: Viktoria Kosjankow ist dafür seit Oktober 2019 beim Fachdienst Gefahrenabwehr der Stadtverwaltung angestellt.
Im Rahmen des Projektes ist eine inhaltliche und organisatorische Abstimmung des Programms für weiterführende Schulen und ebenso eine Verzahnung mit dem außerschulischen Bereich geplant. Weiterhin sollen neue Themen wie interkulturelle Kompetenzen integriert werden. PiKS soll auch als Modell dafür dienen, wie Kinder vom Beginn ihrer Bildungslaufbahn bis zu deren Ende durchgehend begleitet und bei der Entwicklung eigener Konfliktlösungsstrategien unterstützt werden können.