Marburg-Biedenkopf – Das Thema Extremismus und seine Bekämpfung hat der Landkreis Marburg-Biedenkopf in den Mittelpunkt einer öffentlichen Informationsveranstaltung gestellt. Experten gingen dabei vor rund 100 Zuhörerinnen und Zuhörern in der Kreisverwaltung Fragen zur Entwicklung von Extremismus und nach möglichen Gegenmaßnahmen nach. Dabei ging es nicht nur um religiösen Extremismus. Auch politischer Extremismus von rechts und links war Thema des Abends.
Redner oder zu Gast auf dem Podium waren: Der Sozialpsychologe Professor Dr. Ulrich Wagner vom Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg, Dr. Reiner Becker vom Institut für Erziehungswissenschaft der Philipps-Universität Marburg, Dr. Klaus Bott als Vertreter des Hessischen Informations- und Kompetenzzentrums gegen Extremismus beim Landespolizeipräsidium, Dr. Julia Emig vom Landesamt für Verfassungsschutz, der Marburger Islamwissenschaftler Professor Dr. Albrecht Fuess und der Kriminalbeamte Manfred Scholz vom Kommissariat für Staatsschutz bei der Marburger Polizei sowie Landrätin Kirsten Fründt und der Erste Kreisbeigeordnete Marian Zachow.
Sie standen während einer angeregten Podiumsdiskussion den Zuhörern Rede und Antwort oder informierten mit Fakten und Hintergrundinformationen. Jochen Schmidt vom Hessischen Rundfunk moderierte den Abend, führte die Teilnehmer an brisante Themenkomplexe heran und spornte die Referenten zu einem regen Austausch an.
Dr. Julia Emig vom hessischen Landesamt für Verfassungsschutz informierte über Salafismus. Laut der Referentin nimmt die Anhängerzahl dieser konservativen Strömung des Islams zu und sei aktuell die „am schnellsten wachsende Strömung im Extremismus“. Bei den Anhängerzahlen liege das Land Hessen mit 1.600 Personen, bei bundesweit 10.000 Anhängern, auf Platz zwei aller Bundesländer, wobei die Zahlen seit vergangenem Jahr stagnieren, berichtete die Referentin. Der Salafismus wird in den politischen Salafismus und den jihadistischen Salafismus unterteilt und sei „derzeit eine zentrale Herausforderung für die innere Sicherheit“, so Dr. Julia Emig. Der extremistische Teil der Szene sei von einer „Sogwirkung“ des sogenannten Islamischen Staates betroffen. Um dieser Tendenz von staatlicher Seite effektiv zu begegnen, sei ein „ganzheitlicher Bekämpfungsansatz, Informationsaustausch und Vernetzung aller beteiligten Behörden und Akteure und die Einbindung zivilgesellschaftlicher Träger“ entscheidend.
„Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Lösung. Je früher man mit Prävention beginnt, desto wirkungsvoller kann sie sein“, sagte Dr. Klaus Bott vom Landespolizeipräsidium. Er stellte die Arbeit des Hessischen Informations- und Kompetenzzentrums gegen Extremismus beim Landespolizeipräsidium vor, das Projekte und Programme aus ganz Hessen miteinander vernetzt.
Dr. Reiner Becker (Institut für Erziehungswissenschaft der Philipps-Universität Marburg) stellte das „beratungsNetzwerk hessen – gemeinsam für Demokratie und gegen Rechtsextremismus“ vor. Dieser Kooperationsverbund vereint mehr als 30 staatliche und zivilgesellschaftliche Träger aus Hessen sowie rund 40 mobile Berater unter einem Dach. Gemeinsame Ziele sind eine professionelle Beratung und Hilfe für Betroffene und Interessierte in Fällen von Rechtsextremismus, Antisemitismus oder Rassismus. Wie Dr. Becker erläuterte, wolle sich das Netzwerk „vorbeugend für die Stärkung der Demokratie einsetzen und demokratische Strukturen stärken“.
Professor Dr. Ulrich Wagner hob eine frühe Integration als erfolgreiches Mittel der Prävention hervor, etwa im Bereich der Flüchtlingshilfe. Bei der Unterbringung von geflüchteten Menschen sprach er sich etwa gegen eine „Ghettoisierung“ aus. Diesen Ansatz verfolgt auch der Landkreis Marburg-Biedenkopf. „Der Landkreis setzt auf eine Miteinander-Kultur“, unterstrichen Landrätin Kirsten Fründt und der Erste Kreisbeigeordnete Marian Zachow. Sie berichteten von präventiven Maßnahmen gegen Extremismus, die vor Ort bereits umgesetzt werden. „Ein wichtiger Ort für die richtige Art von Integration ist die Schule. Im Landkreis haben wir eine stark ausgebaute Schulsozialpolitik – darauf bin ich stolz“, betonte die Landrätin. Darüber hinaus habe sich unter anderem die Volkshochschule das Thema politische Bildung „auf die Fahnen geschrieben“.
Ansätze gegen Extremismus funktionieren im Landkreis Marburg-Biedenkopf nach den „5 Bs: Bilden, Beobachten, Begeistern, Beispiel bilden und Begegnen. Es ist wichtig, dass wir Extremismus nicht wachsen lassen, mit gutem Beispiel voran gehen und niemanden fallen lassen, uns aber auch abgrenzen, wenn es angebracht ist“, betonte Marian Zachow. Er sprach sich dafür aus, eine „neue Begeisterung für Demokratie und den Rechtsstaat“ zu schaffen und das Selbstvertrauen der Menschen zu stärken. „Das ist vielleicht die beste Waffe, um sich den extremistischen Rattenfängern entgegen zu stellen und unsere demokratischen Grundwerte zu verteidigen“, so Zachow.
Geschlossen hatte sich der Kreistag für die öffentliche Veranstaltung ausgesprochen, um das Thema Extremismus aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Erfolgreich konnten Hintergründe und Gegenmaßnahmen einem breiten Publikum vermittelt werden. „Der Kreistag will ein politisches Zeichen setzen. Extremismus jeglicher Art lässt sich nicht mit einer freien, liberalen Gesellschaft vereinbaren und schadet einem friedlichen und würdevollen Zusammenleben. Wir wollen aufzeigen, wie wichtig es ist, staatliche Organe zu unterstützen und die Prävention weiter zu stärken“, sagte Kreistagsvorsitzender Detlef Ruffert. Dass dieses Ziel im Landkreis Marburg-Biedenkopf auf breiter Ebene vertreten wird, zeige alleine schon der gemeinsame Antrag aller Kreistagsfraktionen zu einem Informationsabend mit großer Resonanz.
Gut besucht war ebenfalls der parallel stattfindende Informationsmarkt im Foyer der Kreisverwaltung. Verschiedene Akteure stellten vor Ort ihre Arbeit im Bereich (politischer) Bildung, Gewalt-/Extremismus-Prävention und -Bekämpfung vor. Die erfahrenen Praktikerinnen und Praktiker – darunter auch Organisationseinheiten der Kreisverwaltung, die in diesem Themenfeld arbeiten – luden zu einem breiten Austausch und kamen mit zahlreichen Besuchern ins Gespräch.