Marburg-Biedenkopf – „Nicht über Menschen sprechen, sondern mit ihnen“, ist das Motto für die neu gewählten Flüchtlingssprecher und einer Sprecherin in drei Gemeinschaftsunterkünften des Landkreises für Geflüchtete. In Gladenbach, in Gladenbach-Weidenhausen und in Kirchhain haben die ersten Sprecherräte mit ihrer Arbeit begonnen.
Ziel der Sprecherräte ist es, den Geflüchteten eine eigene Stimme und Selbstständigkeit bei der Vertretung ihrer Interessen zu geben. So werden Flüchtlinge motiviert, ihre Interessen in der Gemeinschaftsunterkunft und in ihrer unmittelbaren Umgebung zu reflektieren, zu äußern und mit anderen zu verhandeln. Ebenso können die Gewählten die kulturelle Teilhabe der Geflüchteten in der Stadt, der Gemeinde und im Landkreis unterstützen. Die Gewählten sollen die Wünsche und Anregungen der Geflüchteten aufnehmen und bündeln. Dabei sollen sie auch die Belange derjenigen, die sich selbst nicht äußern, aufgreifen und vertreten. Sie können Hausversammlungen regelmäßig und bedarfsorientiert durchführen und Absprachen mit hauptberuflichen und ehrenamtlichen Ansprechpersonen treffen.
„Diese Wahlen sind bei den Bewohnerinnen und Bewohnern der Gemeinschaftsunterkünfte sehr gut angekommen. Da Frauen in den Gemeinschaftsunterkünften eher unterrepräsentiert sind, freut es uns dabei besonders, dass bei der jüngsten Wahl in Weidenhausen erstmalig auch eine Frau in den Sprecherrat gewählt wurde“, sagte der Erste Kreisbeigeordnete Marian Zachow. „Den Geflüchteten bieten diese Wahlen häufig die erste Möglichkeit geheim, schriftlich und ohne Angst ihre Stimme abzugeben. Um die besondere Ernsthaftigkeit dieser Wahlen zu unterstreichen haben wir auch eine Wahlkabine und eine Wahlurne zur Verfügung gestellt. Damit wurden diese Wahlen für die Geflüchteten zu einem ernsthaften Einstieg in ein demokratisches Wahlverfahren“, erläuterte der Erste Kreisbeigeordnete.
„Unsere Recherchen nach ähnlichen Beispielen zur Beteiligung von Geflüchteten haben ergeben, dass der Landkreis Marburg-Biedenkopf zu den Pionieren auf diesem Gebiet gehört. So konnten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stabsstelle Ausländer, Migration und Flüchtlinge und des Büros für Integration bei der Vorbereitung und Organisation der Wahlen auch nicht auf Erfahrungen oder gar bewährte Strukturen aus anderen Regionen zurückgreifen“, sagte Marian Zachow.
„Unsere ersten Erfahrungen zeigen deutlich, dass die Flüchtlingssprecher einen positiven Einfluss auf die Lebenssituation der Geflüchteten in den Gemeinschaftsunterkünften ausüben. So erleben die Geflüchteten, dass sie in und mit demokratischen Strukturen etwas für sich selbst bewirken können“, ergänzten Rainer Flohrschütz und Andreas Tauche, die als Mitarbeiter des Kreises die Wahlen organisiert und koordiniert haben. Mit ihren vielfältigen Aufgaben dienten diese Flüchtlingsräte so auch als wichtige Instrumente der Selbsthilfe der Geflüchteten. Und nebenbei werde so die Arbeit der hauptberuflich und ehrenamtlich Tätigen ergänzt und unterstützt.
„Auf der Grundlage dieser Erfahrungen möchten wir im Landkreis daher noch für weitere Gemeinschaftsunterkünfte Sprecher wählen lassen“, ergänzte Zachow. In Zukunft soll es auch ein erstes Treffen der bisherigen Sprecher aus den verschiedenen Unterkünften geben, um den Austausch untereinander zu ermöglichen.
Organisation der Wahl:
Die Flüchtlingssprecher können in den größeren Gemeinschaftsunterkünften des Landkreises (ab 20 Personen) von allen volljährigen Bewohnerinnen und Bewohnern gewählt werden. Die Wahl findet in der Hausvollversammlung statt, sie ist schriftlich und geheim. Pro Unterkunft werden bis zu vier Sprecherinnen und Sprecher gewählt. Frauen und Männer sollten entsprechend ihrem Anteil an der Bewohnerstruktur beteiligt sein. Die Wahlperiode dauert sechs Monate, eine Wiederwahl ist zulässig.