Marburg-Biedenkopf – Integration ist in den vergangenen Jahren zu einem bedeutsamen politischen Handlungsfeld in Bund, Ländern und Kommunen geworden. Die steigende Zahl von Asylanträgen hat das Bewusstsein der Bevölkerung, ein Einwanderungsland zu sein, gestärkt und die Sichtbarkeit von sprachlicher, religiöser und kultureller Vielfalt erhöht. Die Reaktionen darauf fallen bisweilen aber auch sehr unterschiedlich aus.
Auf der einen Seite Willkommenskultur, Interkulturelle Öffnung und zivilgesellschaftliches Engagement. Auf der anderen Seite lautstarke Gegenbewegungen, das Erstarken rechtspopulistischer Parteien und die zunehmende Verbreitung von Hasskommentaren in sozialen Medien. Doch was braucht es für eine gelungene Integration? Welche Bedeutung kommt diesem Handlungsfeld innerhalb Hessens und des Landkreises zu? Und wie lässt sich die bisherige Entwicklung beschreiben? Um Antworten auf diese Fragen zur erhalten und sich mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern im Kreis auszutauschen, veranstaltete der Landkreis Marburg-Biedenkopf im Marburger Landratsamt einen Diskussionsabend mit Vertretern aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft.
„Impulse geben, die eine gemeinsame Integrationsstrategie für unseren Landkreis möglich machen“, gab der Erste Kreisbeigeordnete Marian Zachow als Ziel der Veranstaltung aus. „Perspektive muss es sein, eine Miteinanderkultur im Landkreis zu schaffen. Das bedeutet, die Dinge gemeinsam anzupacken und nicht nur über sondern vor allem mit Zuwanderern zu reden. Das heißt voneinander lernen, Grenzen überwinden, aber auch Grenzen setzten. Extreme Positionen, egal ob rechts, links oder religiös haben keinen Platz bei uns, sondern das gemeinschaftliche Zusammenleben in Freiheit, Toleranz und kultureller Vielfalt“, erklärte Zachow weiter.
Nach der Begrüßung und Einführung in die Veranstaltung durch Dr. Franziska Engelhardt vom Büro für Integration des Landkreises Marburg-Biedenkopf sowie Timm Rancke von der Koordinierungs- und Fachstelle „misch mit!“ bildeten Impulse aus der Zivilgesellschaft den Auftakt der Veranstaltung. Professor. Dr. Ulrich Wagner von der Philipps-Universität Marburg betrachtete das Thema dabei aus sozialpsychologischer Perspektive: „Es zeigt sich, dass vor allem der Kontakt mit Geflüchteten die eigene Wahrnehmung über diese positiv beeinflusst. Durch eine noch aktivere Politik in Sachen Begegnung, etwa in Schulen und Vereinen, können Vorurteilen und Unsicherheiten entgegengewirkt werden“.
Zehra Demir vom Ausländerbeirat Stadtallendorf machte außerdem deutlich: „Politik darf nicht fern sein. Jeder muss die Möglichkeit und das Gefühl haben, mitmachen zu können“.
Bei anschließenden Podiumsdiskussion standen neben dem Ersten Kreisbeigeordneten Marian Zachow auch der Neustädter Bürgermeister Thomas Groll sowie der Staatssekretär für Integration und Bevollmächtigter für Antidiskriminierung, Jo Dreiseitel, für eine gemeinsame Diskussion mit den Teilnehmern der Veranstaltung zur Verfügung. Die Journalistin Dr. Nkechi Madubuko moderiert die Diskussion.
„Durch die erheblichen demographischen Veränderungen brauchen wir Zuwanderung mehr denn je. Wir sollten Vielfalt verinnerlichen, wahrnehmen und unterstützen. Ziel muss es sein, dass alle Menschen unabhängig ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Orientierung in allen Lebensbereichen teilhaben und sich entfalten können. Integration ist ein Prozess, der auf allen Ebenen, also Staat und Zivilgesellschaft, gesteuert werden muss. Niedrigschwellige Sprachkurse und die Förderung von ehrenamtlichem Engagement sind ein wichtiger Schritt um dies zu verwirklichen. In diesem Jahr stehen dem Land Hessen dafür allein 8,85 Millionen Euro zur Verfügung“, erklärte Dreiseitel.
Auch der Erste Kreisbeigeordnete Marian Zachow lieferte wichtige Impulse und Konzepte für das Schaffen einer Miteinanderkultur: „Dezentralisierung bei der Unterbringung von Geflüchteten verhindert Abschottung und Ghettobildung. Außerdem ist Arbeit ein wichtiger Integrationsmotor. Auch das Thema Mitbestimmung von Geflüchteten und Migranten möchten wir weiter in den Fokus rücken. Im Landkreis gibt es dazu ein Modellprojekt, in dem Flüchtlingssprecher gewählt werden, um den Menschen so demokratische Teilhabe zu ermöglichen“, machte Zachow deutlich.
Dass eine gelungene Integration nur in Zusammenarbeit zwischen den Menschen und gemeinsam mit den Ländern und Kommunen gelingen kann, betonte auch der Neustädter Bürgermeister Thomas Groll: „ Wichtig ist, sowohl mit den Bewohnern als auch den Flüchtlingen in den Kommunen zu kommunizieren, um die Herausforderungen zu meistern. Wir müssen die Betreuung für ehrenamtliche Helfer stärken und noch attraktivere Angebote im ländlichen Raum schaffen, damit Flüchtlinge sich nicht nur in Ballungszentren der Großstädte begeben“, unterstrich Thomas Groll. Er ist sich außerdem sicher, dass Sprache ein wichtiger Baustein für eine gelungene Integration sei.
Integration sei keine Einbahnstraße, ein einfacherer Zugang zum Arbeitsmarkt als wichtiger Aspekt für eine bessere Integration und damit einhergehend mehr Vielfalt in Unternehmen und Verwaltungen sowie mehr miteinander denken waren Stimmen aus dem Plenum, die die Diskussion bereicherten.
„Diese Veranstaltung hat viele verschiedene Anregungen und Ideen gebracht. Beteiligung lebt auch von Diskursen und gegensätzlichen Meinungen. Deshalb glaube ich, dass diese Veranstaltung ein guter Auftakt für Zukunftskonzepte in Sachen Integration und gesellschaftliche Teilhabe von Eingewanderten gewesen ist“, zeigte sich Dr. Franziska Engelhardt von der WIR-Koordination zuversichtlich.
Zum Abschluss des Abends durften nach so viel Ernsthaftigkeit auch die Lachmuskeln zum Einsatz kommen: Hierfür sorgte die Kabarettistin Idil Baydar, die in der Rolle der Jilet Ayse das Publikum an ihren Ideen zum Thema vielfältige Gesellschaft teilhaben ließ.